Auf der Erde sorgt ein Bericht über unkontaktierte Völker für Aufsehen. Da schlägt Adolars Ethnologen-Herz höher.
Im dichten Dschungel des Planeten Adogah sucht Adolar nach einer Packstation des Galactic Parcel Service. Er erwartet nämlich eine wichtige Lieferung. Während er sucht und sucht, stößt er auf ein Thema, das auf der Erde gerade für Schlagzeilen sorgt: unkontaktierte Völker.
Weltweit, so heißt es in einem aktuellen Bericht von Survival International, sollen noch knapp 200 indigene Gemeinschaften existieren, die keinen Kontakt zur Außenwelt haben. Da macht Adolars Ethnologen-Herz direkt einen Luftsprung. Aber er fragt sich:
Gibt es unkontaktierte Völker wirklich? Oder ist das nur ein Mythos?
Was bedeutet „unkontaktiert“ eigentlich?
Ein „unkontaktiertes Volk“ – das klingt so, als hätten diese Menschen noch nie zuvor Kontakt zu anderen Menschen außerhalb ihrer Lebenswelt gehabt. Doch dieses Bild trügt.
Wir können davon ausgehen, dass alle indigenen Gruppen auf die eine oder andere Weise beeinflusst sind von unserer global vernetzen Lebensweise – und das schon seit hunderten von Jahren. Das hat mit dem Kolonialismus zu tun, der ab dem 15. Jahrhundert Fahrt aufgenommen hat.
Die Wurzeln eines kolonialen Narrativs
Die Vorstellung von unberührten, ursprünglichen Völkern hat eine lange Geschichte. Im 19. Jahrhundert glaubten viele Forschende, sie könnten in solchen Gemeinschaften den „Urzustand“ der Menschheit studieren.
Diese Idee stand im Zeichen des Evolutionismus, der Kulturen als aufeinanderfolgende Entwicklungsstufen betrachtete: vom „Naturzustand“ bis zur „Zivilisation“. Europa sah sich dabei natürlich selbst als Endpunkt dieser Entwicklung an.
Ethnologie im Schatten des Kolonialismus
Viele Forschungsreisen jener Zeit fanden in bereits kolonisierten Gebieten statt. Missionare, Händler und Soldaten hatten dort längst ihre Spuren hinterlassen. Doch frühe ethnografische Berichte blendeten diese Einflüsse oft aus, was das Bild vom unberührten, kontaktlos lebenden Volk aufrecht erhielt.
Erst ab den 1920er Jahren etwa begannen Forschende wie Bronislaw Malinowski und Franz Boas, mit dem evolutionistischen Denken abzurechnen – und ab den 1950er Jahren wurden auch koloniale Machtstrukturen kritisch hinterfragt. Daraus entstand später der postkoloniale Ansatz, der betonte:
Keine Kultur existiert isoliert. Jede ist in historische, wirtschaftliche und politische Verflechtungen eingebunden.
Der Mythos der „letzten Steinzeitmenschen“
Auch heute prägen alte Vorstellungen unsere Wahrnehmung. Wenn Medien über „unkontaktierte Völker“ berichten, entstehen sofort Bilder von nackten Menschen im Dschungel, die primitiv und rückständig fernab der Moderne leben – wie die „letzten Steinzeitmenschen“, so hat es mal die BILD-Zeitung geschrieben.
Solche Schlagzeilen wirken aufregend, sind aber problematisch. Sie verfestigen stereotype und abwertende Denkmuster, die die Lebensweisen indigener Gruppen als „rückständig“ oder „zeitlos“ darstellen.
Dabei erzählen diese Bilder oft mehr über unsere eigenen Sehnsüchte nach Einfachheit und Ursprünglichkeit als über die Realität der porträtierten Menschen.
Unkontaktierte Völker gehen freiwillig in Isolation. Es ist ein Akt der Selbstbestimmung.
Wenn wir über unkontaktierte Völker sprechen, sollten wir uns bewusst machen: Es geht nicht um Menschen, die noch nie Kontakt hatten, sondern um solche, die Kontakt nicht mehr wollen.
Ihre Entscheidung für Isolation – das betont auch Survival International – ist kein Zeichen von Rückständigkeit, sondern eine Reaktion auf historische Erfahrungen – und ein Akt des Widerstands gegen erneute Vereinnahmung.
Ein Buchtipp: „Die Völker ohne Geschichte“
Wer sich tiefer mit diesen Fragen beschäftigen möchte, dem empfiehlt Adolar das ethnologische Standardwerk Die Völker ohne Geschichte von Eric Wolf (1982).
Wolf zeigt eindrucksvoll, wie eng europäische Expansion, Kolonialismus und die Geschichte indigener Gesellschaften miteinander verflochten sind – und dass kein Volk wirklich „ohne Geschichte“ ist.
Unkontaktierte Völker zwischen Faszination und Verantwortung
Adolar kommt zu dem Schluss, dass das Bild von unkontaktierten Völkern faszinierend, aber auch gefährlich ist. Es verführt dazu, diese für uns so fremd- und andersartigen Lebensweisen zu romantisieren oder zu exotisieren – und damit letztendlich die kolonialen Denkmuster zu wiederholen, von denen sich die Ethnologie längst verabschiedet hat.
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Ethnologische Quellen in dieser Folge
· Wolf, Eric R. 1986: Die Völker ohne Geschichte. Europa und die andere Welt seit 1400. Frankfurt am Main: Campus Verlag
· Survival International 2025: Unkontaktierte Völker. Kampf um Selbstbestimmung. In: Kampagnen-Website unkontaktiert.de (URL abgerufen am 30.10.2025)






